Auszug aus meinem Buch "VaguMotion" (siehe Literatur): 

 

Ein Großteil meiner Patienten leidet unter Symptomen von chronischem Stress wie Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung, Antriebsschwäche, Unkonzentriertheit, Gedächtnisstörungen, Schlaflosigkeit, Lustlosigkeit, Freudlosigkeit bis hin zu depressiven Verstimmungen mit dem Gefühl, das Leben nicht meistern und genießen zu können. Auch wenn Menschen in diesem Zustand oft noch erstaunlich lange ihren beruflichen Verpflichtungen nachkommen können, so berichten mir diese Patienten doch, dass sie nach der Arbeit keine Lust und Energie mehr haben, Sozialkontakte und Hobbies zu pflegen. Dadurch kommt eine Abwärtsspirale in das Vollbild eines Burnout-Syndroms in Gange, denn nur ausgleichende und aufbauende Freizeit-Aktivitäten beispielsweise im Kreise von Familie und Freunden regenerieren die Energie und Lebensfreude.

Die Prävalenz des Burnout-Syndroms nimmt deshalb rasant zu. Leider handelt es sich dabei nicht um eine Mode-Erkrankung, wie in den Medien oft diskutiert, sondern um eine chronische Überforderung der Stress-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse). Laborchemisch lässt sich ein Mangel an Nebennierenrindenhormonen und eine Dysbalance oder später Mangel an Neurotransmittern nachweisen (siehe auch mein Buch: Für Männer, Säule 3). Das klinische Bild ähnelt im fortgeschrittenen Stadium einer Depression, was dazu führt, dass Antidepressiva (oft ohne begleitende Psychotherapie) eingesetzt werden. Diese Behandlung setzt aber nicht an den Ursachen an und ist dadurch auch nicht zielführend. Denn die Erschöpfung der Stressachse wird durch die Antidepressiva-Therapie nicht geheilt und noch viel gravierender ist, dass auch an den Ursachen für die Entstehung eines solchen Burnout-Syndroms wird nicht gearbeitet. Die heute häufig zu findende Gleichsetzung von Depression und Burnout-Syndrom halte ich für verkehrt und auch für gefährlich, da die Therapie einer chronischen Stressbelastung anders aussehen sollte als die einer Depression.

Daher habe ich VaguMotion, ein einfach zu erlernendes und in Eigenregie durchführbares Präventions-Konzept entwickelt, das sich zudem noch gut in den Alltag integrieren lässt. Sie haben damit die Chance, dem Auftreten von diversen stressassoziierten Erkrankungen bis hin zum Extremfall eines Burnout-Syndroms entgegenzuwirken. VaguMotion ersetzt im Krankheitsfall keine medizinische oder psychologische Abklärung und Therapie, es sollte vielmehr ergänzend durchgeführt werden. Bitte informieren Sie Ihren Arzt bzw. Therapeuten, dass Sie dieses Programm durchführen.

VaguMotion ist aber vor allem ein effizientes Selbsthilfe-Programm, um „runterzukommen“, abzuschalten und sich wohl zu fühlen. Es soll Ihnen helfen, sich zentriert und fokussiert zu fühlen und Ihnen eine gesunde und nachhaltige Art von Energie schenken. Damit Sie Ihr Leben genießen können.

 

 

Vegetatives Nervensystem

Unsere physische und psychische Gesundheit und sogar unsere Lebenserwartung hängen maßgeblich vom Zustand unseres vegetativen (auch autonom genannten) Nervensystems ab. Dieses besteht aus dem Sympathikus und dem Parasympathikus  (auch N. Vagus genannt als dessen Hauptvertreter). Diese beiden Gegenspieler unterstehen nicht unserer willkürlichen Kontrolle.

Das enteritische Nervensystem (auch „Darmhirn“ genannt) zählt ebenfalls zum vegetativen Nervensystem.

Der Sympathikus und der Parasympathikus sind Nervengeflechte, die den gesamten Körperstamm durchziehen. Der Parasympathikus folgt einer speziellen Ausrichtung, er ist fest im Hirnstamm und im sakralen Rückenmark verankert, was ihm die Bezeichnung kranio-sakrales System gibt. In unserer modernen Gesellschaft liegt oft ein Ungleichgewicht im vegetativen Nervensystem mit einer Dominanz des antreibenden Sympathikus vor. Wir wissen, dass eine solche Dysbalance eine zentrale Rolle bei der Entstehung chronischer Erkrankungen spielt. Dazu gehören Bluthochdruck, Verkalkungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes mellitus Typ 2, chronische Entzündungen und Arthrose bis hin zu Demenz.

Um es pointierter zu formulieren: Kaum eine chronische Erkrankung ohne geschwächten N. Vagus.

Auch die emotionale und mentale Stabilität hängt sehr von einem starken Vagus (= Parasympathikus) ab. Reduzierte Vagus-Aktivität begünstigt (die ebenfalls zunehmenden) Angsterkrankungen, Panikstörungen, Depressionen, Schlafstörungen und ein Burnout-Syndrom. Wenn Sie Ihren Vagus in oder nach Belastungssituationen aktivieren können, dann erhöht sich Ihre Resilienz (Widerstandsfähigkeit) und Ihr mentaler und emotionaler Phasenraum weitet sich.

Der N. Vagus wird in der Literatur auch als innere Bremse bezeichnet, ich finde die Begriffe „Entschleuniger“ und „Beruhiger“ schöner. Er unterstützt Heilungsprozesse bei Verletzungen und Entzündungen, hilft Hormone zu regenerieren, Sauerstoff -und Nährstoffe aufzunehmen, ermöglicht eine gute Sexualfunktion und schenkt uns einen erholsamen Schlaf.

 

Wie misst man die Balance zwischen Sympathikus und Vagus?

Bei den meisten Patienten erfolgt die Diagnose einer bereits jahrzehntelang bestehenden Dysbalance sehr spät. Sie weisen eine geschädigte Stressachse und gestörte Neurotransmitter-Bildung auf.

Wichtig ist es also ein Frühwarnsignal für eine Stressüberlastung zu finden. Die Herzratenvariabilität (HRV) ermöglicht es, den Zustand des vegetativen Nervensystems zu messen.

Ein funktionierender Parasympathikus lässt den Herzschlag im Takt der Atmung schwanken, was zu einer hohen HRV führt. Hier werden die Abstände der einzelnen Herzschläge im gesunden Maße unregelmäßig. Man nennt dieses Phänomen auch respiratorische (atemabhängige) Sinusarrhythmie. Im Gegensatz dazu, gibt es Herzrhythmusstörungen diverser Arten wie z.B. Vorhofflimmern oder Extra-Schläge (Extra-Systolen), die Zeichen einer Herzerkrankung sein können. Hier kommt es zu einem krankhaft unregelmäßigen Herzschlag.

Wer eine HRV misst (es gibt zahlreiche kommerzielle Systeme), sollte entsprechende Herzrhythmusstörungen sicher erkennen und abgrenzen können, da sonst unter Umständen Leitungsstörungen wie z.B. ein AV-Block oder sogar gefährliche Herzrhythmusstörungen als besonders gute HRV fehlinterpretiert werden. Deshalb sollte vorab immer ein EKG durchgeführt werden.

Die HRV wird oft nur in einer 5 minütigen sog. Kurzzeitmessung erfasst, diese gibt erste Überblicke über Ihr autonomes Nervensystem und auch Ihren Trainingszustand. Diese Kurzeitmessung stellt also ein hervorragendes Screening-Tool dar.

Die vier aus der HRV resultierenden Parameter ergeben Prozentwerte durch einen Vergleich mit einer gleichaltrigen Kohorte. Zusätzlich ergibt sich daraus ein Rang-Wert, der es erlaubt zu zeigen, wie viele Menschen gleichen Alters besser und wie viele schlechter sind.       

In Abbildung 1 und 2 a und b sind ein guter und zwei unterschiedlich schlechte Befunde gegenübergestellt.

In Abbildung 1 zeigt sich ein guter Tonus (niedrige mittlere Herzfrequenz) als Hinweis für einen guten  Ausdauertrainingszustandes. Die Dynamik 1 und 2 sowie die Flexibilität sind Beurteilungskriterien für die Vagus-Aktivität. Diese drei Parameter sind ausgezeichnet und beweisen eine sehr gute Vagus-Funktion.

In Abbildung 2 a ist der Tonus schlecht (hohe mittlere Herzfrequenz), was auf einen miserablen Ausdauer-Trainingszustand hinweist. Gleichzeitig sind die anderen drei Parameter für die Vagus-Funktion auf  äußerst  niedrigem Niveau.

In Abbildung 2 b sieht man eine ähnlich gute mittlere Herzfrequenz wie in Abbildung 1 als Hinweis auf regelmäßiges Ausdauertraining, die drei Parameter für den Vagus sind nicht ganz so schlecht wie in Abbildung 2 a, aber doch deutlich verbesserungswürdig. Einen Befund wie in Abbildung 2 b sehe ich am häufigsten in der Praxis. Durch regelmäßiges Herzkreislauftraining sinkt die mittlere Herzfrequenz, was zumindest eine gewisse vegetative Stabilisierung und Vagus-Aktivität garantiert. Von gesundheitsbewussten Menschen wir heute häufig berücksichtigt, dass wir unser Herz durch Ausdauertraining stärken müssen. Allerdings reicht das nicht aus. Um gesund zu bleiben, müssen wir unseren Vagus auch „trainieren“.

Abbildung 1 gute HRV gute Trainings

 Abbildung 1: Gute HRV und guter Trainingszustand
Abbildung 2a schlechte HRV schlechte Training
Abbildung 2a: Schlechte HRV und Schlechter Trainingszustand
 
schlechte HRV gute Trainingszustand

Abbildung 2 b - Schlechte HRV und guter Trainingszustand

 

Im Anschluss an diese Kurzzeitmessung sollte analysiert werden, ob sich durch vertiefte und entspannte Atmung die HRV verbessern lässt. Dieser Atemtest wird Respiratorische Sinus-Arrhythmie (RSA)-Messung genannt. Idealerweise kommt es bei vertiefter Atmung durch die Synchronisierung zwischen Atmung und Herz zu einer höheren Vagus-Aktivität. Die HRV verbessert sich also. Ist das nicht der Fall, dann kann ein Biofeedback-System Hilfestellung dabei leisten, die Atmung durch Übung so zu verändern, dass Vagus-Aktivität und HRV zunehmen.

Der entscheidende Nachteil einer Kurzzeitmessung ist, dass sie nicht den erwünschten Einblick in die Anpassungsfähigkeit des vegetativen Nervensystems während eines üblichen Arbeitstages eines Menschen erlaubt.

Noch ungünstiger ist, dass die Kurzzeitmessung nicht die so wichtige Beurteilung der Funktion des Parasympathikus während des Schlafes erlaubt und keine Aussagen zur Schlafarchitektur getroffen werden können. Dies ist insofern wichtig, weil bei einigen Menschen die objektiv messbare Schlafarchitektur mit der eigenen Einschätzung keineswegs korreliert. Es gibt  Patienten, die das Gefühl hatten, die ganze Nacht wachgelegen zu sein und dabei eine ausgezeichnete  Schlafarchitektur mit Tiefschlafphasen aufweisen. Aber auch das Gegenteil kommt vor und ist mindestens ebenso von Bedeutung, da bei diesen Menschen eine entsprechende Therapie unterlassen werden würde.

Zu einer sicheren und aussagekräftigen Diagnostik einer HRV gehört also ein 24-Stunden(Langzeit)-EKG im Anschluss an eine Kurzzeit- und RSA-Messung. Dabei werden einzelne Parameter zur Beurteilung des Vegetativums als sog. Lebensfeuer dargestellt. Während der Schlafenszeiten sollte sich die Aktivität des Vagus deutlich sichtbar in Form einer Girlanden-förmigen Struktur bei etwa 0.3 Hz (y-Achse) abbilden. Tiefschlafphasen können anhand von abschnittsweisem Fehlen des  Lebensfeuers erkannt werden. In Abbildung 3 sehen Sie ein gutes Lebensfeuer und eine deutliche Vagus-Aktivität nachts (markiert mit grünem Pfeil) mit mehreren Tiefschlafphasen ab 00:30. Im Gegensatz dazu ist in Abbildung 4 das Lebensfeuer deutlich geringer und die Vagus-Aktivität nachts kaum mehr vorhanden.

 

Abbildung 3 Gutes Lebensfeuer deutlicher Vagus

Abbildung 3 - Gutes Lebensfeuer und deutlicher Vagus nachts

 

Abbildung 4 Reduziertes Lebensfeuer fehlender Vagus

Abbildung 4 - Reduziertes Lebensfeuer und fehlender Vagus nachts

       

 

                                                   

Der Sympathikus und der Parasympathikus (N. Vagus) sind die beiden entgegengesetzten Pole unseres vegetativen Nervensystems, die sich nicht nur nachts abwechseln, sondern auch untertags balanciert sein müssen.

In der Nacht wechseln sich in 90-120 minütigem Wechsel Tiefschlaf-Phasen mit sog. REM (Rapid Eye Movement)-Schlafphasen ab. Dieser Basis-Ruhe-Aktivitäts-Cycle (BRAC) besteht untertags allerdings genauso. Leider wird dem heute selten ausreichend mit einer entsprechenden Pausengestaltung Rechnung getragen. Spätestens alle 2 Stunden muss eine längere Pause (ca. 20 Minuten) eingelegt werden.

Ein achtstündig durchgehendes Sitzen können Sie in seinen negativen Auswirkungen auf Ihren Stoffwechsel und somit Ihr Herzkreislaufrisiko nicht einmal durch mehrstündigen Sport am Abend kompensieren. „Sitzen ist das neue Rauchen“, lautet der Slogan. Genauso wenig können Sie die untertags nicht gemachten Pausen in ihrer verheerenden Wirkung auf Ihre Regenerationsfähigkeit und Ihren Energiehaushalt am Feierabend kompensieren.